Für Erwachsene schon eine Herausforderung, diese Gefühl des Andersseins einzuordnen und damit klarzukommen. Wie ist das erst für ein Kind?
Sie spüren, dass sie anders sind, können es aber nicht begreifen, wie denn auch. Sie kennen ihre Bedürfnisse und gehen davon aus, dass das eben „normal“ ist. Sie werden größer, lernen sozial zu interagieren, kommen in den Kindergarten in eine Gruppe von anderen Kindern und auf einmal merken sie, da hat´s was. Bis jetzt ist das nicht so aufgefallen im mehr oder weniger geschützten Rahmen des Elternhauses.
Logisch, sich in eine Gruppe zu integrieren ist nicht immer einfach, jedes Kind tickt anders, neue Bezugspersonen, neue Regeln, bisherige Erziehung und so weiter. Das alles sind natürlich Faktoren die mitspielen.
Für ein hochsensitives Kind geht das alles allerdings tiefer. Sie wollen sich integrieren, wollen gerne die Regeln, aber dennoch fallen sie vielleicht auf weil sie sich zurückziehen, oder durch Aggressionsschübe. Sie beschäftigen sich lieber alleine in einer Ecke mit einem Buch oder beobachten die Anderen beim Spielen. Es kann auch sein, dass sie auf einmal um sich schlagen oder schreiend herumrennen oder sich verkriechen. Vieles ist möglich und alles sind Bewältigungsstrategien. Wahrscheinlich nicht die besten, aber die einzigen die das Kind kennt. Es selbst kann kaum erklären was los ist.
Es fühlt nur, dass es zu viel ist, zu viele Menschen, zu viel Lärm, zu viele Gerüche, zu viele Räume, einfach zu viel. Bis jetzt war diese geballte Konzentration von Eindrücken ja nicht existent und wenn dann nicht täglich.
Natürlich könnte auch eine pathologische Störung vorliegen, das sollte man von einer guten, einfühlsamen ÄrztIn, PsychologIn natürlich abchecken lassen um nichts zu übersehen. Nachdem aber rund 20% der Menschen, und dass von Geburt an, hochsensitiv sind, ist die Wahrscheinlichkeit ja nicht so gering, dass es sich um dieses Wesensmerkmal handelt.
Hochsensitive Kinder nehmen alles in ihrer Umgebung intensiver war. Sie können nichts ausblenden. Die Fliege an der Wand, der Wassertropfen auf der Fensterscheibe, die drückende Naht im Socken, die Erklärungen der PädagogIn, all diese Dinge werden gleichzeitig und als gleich wichtig wahrgenommen. Einerseits eine Meisterleistung des Gehirns, andererseits ein extremer Energieaufwand.
Es gibt natürlich Strategien, die es uns erleichtern sich auf eine Sache mehr zu konzentrieren und Eindrücke so zu verarbeiten, dass sie uns nicht erschlagen. Da müssen wir aber erst reinwachsen, da braucht es auch Lebenserfahrung, Erfahrungswerte, Selbstkenntnis. Das ist von einem Kind zu viel verlangt.
Für hochsensitive Kinder ist ein schützender Rahmen, in dem sie sich auf ihre Art frei entwickeln können, extrem wichtig. Jedes Kind braucht Schutz, diese aber noch ein bisschen mehr. Ein Teil des Schutzes besteht oft darin, ihnen den nötigen Freiraum zu verschaffen. Nämlich dort, wo gutmeinende PädagogInnen, Freunde, Familienmitglieder sie aus Unwissenheit in ein einheitliches System quetschen wollen. Man spricht immer über die Einzigartigkeit des Individuums und schert dann doch alles über einen Kamm.
Für Eltern oft ein Drahtseilakt zwischen notwendigem Schutz einerseits und zu viel Abschottung andererseits.
Das staatliche System von Kindergärten und Schulen ist sehr einheitlich. Sicher gibt es Unterschiede durch die Persönlichkeiten von Betreuungs- und Führungspersonen, aber im Grunde ist es EIN System in das ALLE Kinder reingesteckt werden sollen. Probleme tauchen dann auf, wenn das System nicht passend ist für das Kind. Aus Sicht des Systems ist es meist das Kind, das nicht passt und nach Möglichkeit geändert werden soll, zumindest erlebe ich das sehr oft so in meiner Praxis.
Als Erwachsener kann man sich, zumindest in einem gewissen Rahmen, sein Umfeld aussuchen und gestalten, privat wie beruflich. In den letzten Jahren, zuletzt auch bedingt durch Corona, und das ist jetzt nicht sarkastisch gemeint, sind Arbeitgeber offener geworden gegenüber alternativen Arbeitsmöglichkeiten wie Home Office, virtuellen Besprechungen und dergleichen.
Kinder haben da sicher auch gewisse Vorstellungen wie sie sich ihren „Arbeitsplatz“ vorstellen, unter welchen Bedingungen sie sich wohl fühlen. Kindergarten und Schule stellen für Kinder etwas Vergleichbares dar, und sind auch mindestens so anstrengend.
Kinder haben aber keine Wahlmöglichkeit, die Eltern entscheiden, zum Besten ihres Kindes.
Folgende Gedanken spielen dabei oft eine große Rolle:
- für einen selber hat das System ja auch gepasst (zumindest glaubt man es so im Nachhinein)
- es gehen ja alle Kinder hin, also muss doch auch meines
- es geht sich finanziell eine andere Kindergarten- oder Schulform nicht aus
- das härtet fürs Leben ab
- ich will nicht, dass mein Kind ein Außenseiter ist
- bei einer alternativen Schulform kommt es später in höheren Schulen nicht mit
Hochsensitive Kinder sind extrem selbständig, zielorientiert und lernbegierig. Klingt super, ist super, der Haken daran ist, diese Eigenschaften entfalten sich nur in der richtigen Umgebung mit der richtigen Freiheit.
SO kann Unterricht auch aussehen, zumindest im Zukunftswerk-Bildung in der Schul-Werkstatt in Kottingbrunn!
© by Norman Sieler Schul-Werkstatt
In Österreich ist Auswahl an unterschiedlichen Angeboten aus der Reformpädagogik nicht allzu groß aber Waldorf, Montessori, Dalton-Plan sind schon mal ein guter Anfang. Weiters gibt es in bestimmten Fällen Zuschüsse und Fördermöglichkeiten.
Das Argument, dass Kinder aus alternativen Schulformen später in höheren Schulen, der Arbeitswelt oder auf der Uni nicht mithalten können, kann ich aus persönlichen Erfahrungen verneinen. Man unterschätzt den freiwilligen Lerneifer von Kindern und das hohe akademische Niveau von alternativen Schulen.
Die Reformpädagogik hat ihren Beginn im 19. Jahrhundert, ging dann in den Weltkriegen wieder verloren und erlebt jetzt langsam wieder einen Aufschwung.
Reformpädagogik setzt auf Selbstverantwortung, Selbstbestimmung, vernetztes Denken, Individualität, Offenheit und der festen Überzeugung, dass jedes Kind wunderbare Potentiale in sich trägt.
Freue mich auf eure Fragen, Anregungen und Kommentare zu diesem Thema direkt im Blog oder auch per Mail. Gerne unterstütze ich bei den ersten Schritten.