Wie oft erfüllen wir die Erwartungen der Anderen? Öfter als uns bewusst ist, denke ich. Und? Ist das schlimm? Naja, das ist Ansichtssache, je nachdem wieviel ich eigentlich noch ich selbst sein möchte.
Ich bin unlängst über das Zitat „Irgendwann wurden die Erwartungen der Anderen zu deinen eigenen dir selbst gegenüber“ gestolpert.
Entsprechen diese Erwartungen wirklich dem wie ich bin, meinen Werten und Vorstellungen, meinen Bedürfnissen, dann passt´s ja. Was ist aber, wenn ich mich verbiegen muss um ihnen zu entsprechen?
Hochsensitive können in dieser Hinsicht oft zu wahren Schlangenmenschen mit zusätzlichen Akrobatikkünsten werden.
Wie schon mehrmals hier besprochen, passen wir hochsensitiven Personen, kurz HSPs, nicht so ganz in das gängige Gesellschaftsbild, das gängige Gesellschaftssystem und entsprechen somit des Öfteren auch nicht den gesellschaftlichen Erwartungen. Das passiert im engen Umfeld wie in der Familie und unter Freunde genauso wie im weiteren, also Schule, Job, Ärzte, Dienstleister und so weiter.
Die meisten HSPs im mittleren Alterssegment, sind aufgewachsen mit wahlweise guten Ratschlägen, Anweisungen und Zurechtweisungen wie:
- Sei doch nicht so heikel!
- Sei keine solche Prinzessin!
- Tua da nix an.
- Das Leben ist halt so!
- Du isst was auf den Tisch kommt!
- Na geh, das musst jetzt schon essen, ich hab mir ja solche Mühe gemacht, extra für dich.
- Du ziehst an was ich die raus lege!
- Das hast von der Oma, das musst du anziehen.
- Konzentrier dich gefälligst mehr.
- Das kann man doch nicht so machen!
Später sind dann noch Dinge dazugekommen wie:
- Frau Kollegin! Sie halten wohl keinen Stress aus!
- Sie müssen härter werden!
- Nein, das können sie gar nicht spüren.
- Nein da kann es ihnen gar nicht wehtun?
- Nein, das bilden sie sich nur ein, dass sie da was spüren.
- Weshalb sind sie ständig so müde, machen sie was dagegen.
- Das Gerede der Kollegen dürfen Sie halt nicht so ernst nehmen, die machen nur Spaß.
- Das empfindet niemand so!
Hochsensitivität bedingt nun mal, dass wir mehr Reize spüren, sehen, riechen, schmecken, empfinden und das dann intensiver und länger anhaltend. Dadurch passen wir oft nicht ins Bild der restlichen rund 80% der Menschen. Ist ja auch nicht so einfach. Mein lieber Mann sagt selbst: „Ich glaub´ dir wenn du sagst, dass es für dich so ist, ich respektier´s, auch, aber ich hab keine Ahnung was wirklich in dir abgeht.“ Und das meint er absolut liebevoll und ich schwöre, er würde es gerne wirklich verstehen können.
So, das sagt nun einer, der täglich mit einer HSP zusammen ist. Wie geht es jetzt denen, die keine Ahnung haben von Hochsensitivität und dann auf jemanden treffen wie mich, die zum Beispiel Strumpfhosen nicht aushält (das fühlt sich sooooo grauslich an wenn man da ankommt), niemals ein fertiges belegtes Brötchen essen würde (da sieht man nicht wie dick die Butter drunter ist, oder noch schlimmer, es könnte ein cremiger Aufstrich sein), zu einem Netzwerktreffen geht und mal die Menschen im Raum auf ihre Emotionen abcheckt (ich umgebe mich halt lieber mit Menschen die eine positive Energie ausstrahlen und einem nicht sofort etwas aufs Aug drücken wollen), nach einem Familienfest ganz sicher einen Tag Ruhe braucht (ich liebe es die ganze Familie um mich zu haben, nur die geballte Kraft so vieler Reize auf einmal verbraucht extrem viel Energie) und mit Ungerechtigkeiten im Job so gar nicht zurechtkommt.
Ja genau, das sorgt erstmal für einen gewissen „Hä?-Effekt“.
Viele Hochsensitive wollen aber ins Bild passen und versuchen dem allgemeinen gesellschaftlichen Pipapo zu entsprechen, genauso wie die Anderen zu sein und möglichst nicht aufzufallen.
Und da werden so manche zu Seiltänzern, Akrobaten, Schlangenmenschen in dem Versuch sich passend zu machen, seine Besonderheiten zu verstecken. Funktioniert sicher, mal besser mal schlechter, aber es funktioniert. Zumindest für eine gewisse Zeit. Es kostet nämlich etwas sich so zu verbiegen. Auf längere Sicht kann es dich wahlweise deine Zufriedenheit, dein Wohlbefinden, deine Gesundheit, deine Werte, deine Emotionen kosten oder auch alles zusammen wenn´s besonders teuer wird.
Und wofür das Ganze? Macht es Sinn so sein zu wollen wie alle anderen? Da gibt es doch eh schon so viele! Meiner Ansicht nach hat alles seinen Sinn im Leben (auch wenn er sich mir nicht immer erschließt, aber es geht mir mit dieser Einstellung einfach besser) somit auch die Besonderheiten mit denen wir durch unsere Vorfahren, es ist nun mal vererbt, ausgestattet wurden.
Einige Nebenwirkungen der Hochsensitivität kann man schon als Nachteil empfinden aber es kommt drauf an welche Wertigkeit ich denen gebe. Wenn ich mich auf die Nachteile konzentriere (erhöhtes Ruhebedürfnis, Empfindlich gegen Lärm, grelles Licht, manche Menschen,…….) klar, dann schaut das ganze aus wie eine Bürde, eine Belastung mit der man geschlagen ist.
Aber was ist wenn ich mich auf das Positive fokussiere?
Auf den genialen Denkapparat, die Fähigkeit extrem intuitiv handeln zu können, das Intensive empfinden von Freude und Glück, das tiefe Einfühlungsvermögen, um nur einige zu nennen. Und außerdem wir sind nun mal so wie wir sind! Sollten wir daraus nicht das Beste machen?
Ich muss anderen auch nicht immer alles erklären und mich rechtfertigen. Es mag für andere Personen vielleicht im ersten Moment verwirrend sein wenn du ihnen sagst: „Für mich ist das eben so. Akzeptier es bitte einfach.“ Es wird dann Personen zu denen du danach keinen oder nur mehr wenig Kontakt hast, weil sie dich in ein Schubladl quetschen, auf dem wahrscheinlich sowas wie „Spinnade Gurkn“, „komischer Kauz“, „suspektes Individuum“ draufsteht. Und? Ich glaub das ist kein Verlust.
Allen kann man es eh nicht recht machen und bei der Fokussierung auf die Anderen verliert man sich selbst aus den Augen. Nicht sehr sinnvoll, ich sollte ja mein Leben leben und nicht das der Anderen, oder?
Ich geb´ euch nun den Tipp des Tages mit auf den Weg: „Schau, dass´ ned so oft wie möglich passiert.“ (Ausspruch meines lieben Mannes nach einem langen Arbeitstag hinter seinem Laptop, er war schon etwas müde). Ich interpretier diesen Ausspruch folgendermaßen: Möglichkeiten in Versuchung zu kommen sich zu verbiegen gibt es oft. Man sollte aber schauen, dass man sich nicht so oft verbiegt wie es die Möglichkeiten dazu gibt. Solange bis man es gar nicht mehr macht, das Verbiegen meine ich.
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